DIESER BLOG BELEUCHTET DIE PRAXIS EINIGER DIREKTVERMARKTER IM ZUSAMMENHANG MIT DEM REDISPATCH 2.0 KRITISCH. IM ZUGE DES REDISPATCH 2.0 WERDEN ANLAGEN VON NETZBETREIBERN (AB)GEREGELT, WOBEI DIE MENGEN VOM DIREKTVERMARKTER ENTSCHÄDIGT WERDEN. EINIGE DIREKTVERMARKTER BENACHTEILIGEN IHRE KUNDEN SYSTEMATISCH, INDEM SIE IHNEN FÜR DIE AUSFALLARBEIT LEDIGLICH DEN SOGENANNTEN "MISCHPREIS" ANSTATT DES SONST VERTRAGLICH VEREINBARTEN TECHNOLOGIESPEZIFISCHEN MARKTWERTES ODER SPOTPREIS AUSZAHLEN. EINE INTERNE ANALYSE EINES 8 MW PV-ANLAGENPORTFOLIOS ZEIGT, DASS DIES ZU EINNAHMENEINBUSSEN VON 42% FÜHREN KANN. WIR SIND DER AUFFASSUNG, DASS ES ZUM KERNGESCHÄFT VON DIREKTVERMARKTER GEHÖRT PREISRISKEN FÜR IHRE KUNDEN ZU ÜBERNEHMEN. DIE WEITERLEITUNG DES MISCHPREISES FÜHRT ZU EINER UNFAIREN KOSTENABWÄLZUNG AUF DIE KUNDEN.
Redispatch 2.0 und der „Mischpreis“
Seit dem 1. Oktober 2021 ist der sogenannte Redispatch in Kraft und hat das Einspeisemanagement abgelöst. Ziel war immer, dass Bilanzkreisverantwortlichen die abgeregelten Mengen von den ÜNB/VNB durch eine Buchung in deren Bilanzkreis erstattet werden. Doch von Anfang an gab es technische Probleme bei der Umsetzung des bilanziellen Ausgleichs. Zunächst nur vorübergehend sollte eine Übergangslösung des BDEW den bilanziellen Ausgleich ersetzen. Im Kern geht es bei dieser Übergangslösung darum, dass der Bilanzkreisverantwortliche selbst eine Ersatzbeschaffung der Ausfallarbeit am Strommarkt vornimmt und vom ÜNB/VNB die Kosten der Ausfallarbeit in Höhe eines einheitlichen „Mischpreises“ je Viertelstunde erstattet bekommt. Die Idee dahinter: Der Bilanzkreisverantwortliche wird nicht schlechter gestellt, als wenn der bilanzielle Ausgleich durchgeführt würde. Nur die Person, die die Ersatzbeschaffung der Ausfallarbeit vornimmt, ist eine andere. Diese Übergangslösung ist nun zur vorerst endgültigen Lösung gereift, nachdem die ÜNB in Abstimmung mit der BNetzA den bilanziellen Ausgleich Ende Juli vorerst auf Eis gelegt haben.
Bereits in der Vergangenheit war es bei einige BKV jedoch so, dass sie ihren Kunden im Rahmen der Übergangslösung des BDEW lediglich diesen „finanziellen Ausgleich“ für die Ausfallarbeit, also den vom ÜNB/VNB erstatteten Mischpreis, weitergeleitet haben, anstatt für die abgeregelten Mengen die vertraglich vereinbarte Vergütung an die Kunden zu zahlen. Jetzt, wo diese Übergangslösung wohl vorerst zur Dauerlösung wird, ist unser Erachtens ein guter Zeitpunkt, diese Praxis etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn nach internen Analysen hat sich für uns herausgestellt, dass einige Direktvermarkter ihre Kunden beim Redispatch 2.0 offenbar systematisch schlechter stellen, indem sie ihnen nur den sogenannten „Mischpreis“ für ihre Ausfallarbeit und nicht den vertraglich vereinbarten technologiespezifischen Marktwert auszahlen. Das finden wir unfair, da hier Kosten auf den Kunden abgewälzt werden, die eigentlich vom Bilanzkreisverantwortlichen zu tragen sind!
Beispiel: Eine 8-MWp PV-Anlage im Mai 2023
Wir haben eine 8 MW PV-Anlage aus unserem Portfolio analysiert, deren Strommengen im Mai in 36% der Stunden abgeregelt wurden. Kleiner Spoiler: Hätten wir dieser Anlage, wie viele andere Direktvermarkter, den sogenannten Mischpreis für die Ausfallarbeit anstatt den Marktwert Solar ausgezahlt, hätte diese Anlage Einnahmeneinbußen in Höhe von 42% (!) gehabt.
In diesem Blog erklären wir, warum wir diese Praxis hochgradig unseriös finden.
Erlöse ohne Abregelungen
Wir beginnen mit einem hypothetischen Beispiel für unsere 8 MW PV-Anlage. Der Kunde erhält nach einem gewöhnlichen Direktvermarktungsvertrag für jede eingespeiste MWh den Marktwert Solar (MW Solar). Das Vermarktungs- und kurzfristige Preisrisiko trägt nach dem Vertrag der Direktvermarkter. Im Mai hätte die Anlage ohne Redispatchabschaltung 1.134 MWh Strom produziert. Hierfür würde der Direktvermarkter an den Kunden den MW Solar im Mai in Höhe von 53,56 EUR/MWh auszahlen. Das macht insgesamt 60.737 EUR. Der Direktvermarkter würde die Mengen im Day Ahead Spot für die jeweiligen Stundenpreise verkaufen. Die Abbildung 1 zeigt, dass die stündlichen Einnahmen variieren. Über den Monat betrachtet nimmt der Direktvermarkter für diese Anlage 63.305 EUR i.e. 55,82 EUR/MWh ein. Wir ignorieren in diesem Fall die Vermarktungsgebühr und die Balancing-Kosten des Direktvermarkters, da dies die Komplexität unnötig erhöhen würde. Jedenfalls würde der Direktvermarkter in unserem Fall eine Marge von 2,26 EUR/MWh vom Spotpreiswert der Anlage zum MW Solar machen und alle wären glücklich.
Einnahmen bei Auszahlung des Marktwert Solar
Nun wurde unsere 8 MW-PV Anlage jedoch in der Realität vom ÜNB/VNB enorm viel abgeschaltet. Die Abbildung 2 zeigt die Redispatchmengen für unsere Anlage (Ausfallarbeit) und wir sehen, dass sie massiv (36%) vom Netzbetreiber abgeregelt wurde. Betrachten wir die Situation, dass
(a) der Betreiber für seine Ausfallarbeit den MW Solar erhält („netter Direktvermarkter“) und
(b) für die Ausfallarbeit nur den Mischpreis an den Betreiber weiterleitet („geiziger Direktvermarkter“).
Zahlt der Direktvermarkter dem Betreiber den MW Solar für Einspeisung UND Ausfallarbeit aus, ändert sich an den Einnahmen des Anlagenbetreibers nichts – siehe Abbildung 3. So sollte es auch sein. Denn der Redispatch 2.0 soll für den Betreiber grundsätzlich kostenneutral sein, sprich zu keiner wirtschaftlichen Schlechterstellung führen.
Einnahmen bei Auszahlung des Mischpreises
Zahlt der Direktvermarkter jedoch für die Einspeisung den MW Solar und für die Ausfallarbeit lediglich den sogenannten Mischpreis[1] aus, ändert sich das Bild enorm. Siehe Abbildung 4. Die gesamten Einnahmen des Betreibers für den Monat sinken nun auf 37.205 EUR und seine durchschnittliche monatliche Auszahlung sinkt von 53,56 EUR/MWh auf nunmehr 32,85 EUR/MWh. Am Ende des Monats fehlen ihm dadurch 23.488 EUR oder 42% seiner Einnahmen.
Die Situation beim Direktvermarkter
Sehen wir uns die Lage des Direktvermarkters einmal genauer an:
Das Geschäft eines Direktvermarkters beinhaltet es im Kern, Preis- und Prognoserisiken zu übernehmen. Hierfür berechnet er sein Vermarktungsentgelt. Es passiert ständig, dass Anlagen weniger liefern als gedacht, und dann ist es zentrale Aufgabe des Direktvermarkters den Strom im Intraday-Markt zu den dann vorhandenen Preisen nachzukaufen, oder hierfür Ausgleichsenergiepreise zu zahlen, wenn auch die letzten Prognosen nicht präzise genug sind.
Aus Sicht eines Händlers und Direktvermarkters ist ein Redispatch-Call eigentlich nichts anderes als eine Prognoseabweichung. Wenn ich früh genug weiß, dass eine Anlage abgeschaltet wird, kann ich den Strom, den ich bereits am Day-Ahead-Markt verkauft habe, am Intraday-Markt zurückkaufen. Nehmen wir einmal an, ich weiß dies in 72,5% der Fälle und kaufe den Strom rechtzeitig zurück: Wenn der Strompreis am Intraday-Markt zu dem Zeitpunkt des Redispatch Calls günstiger ist als der Day-Ahead-Preis, hatte ich Glück, da ich teuer verkauft habe und günstig zurückkaufen kann. Wenn nicht, dann hatte ich Pech und mache einen Verlust. Nehmen wir ferner an, dass ich in 27,5% der Fälle nicht rechtzeitig reagieren kann, weil der Redispatch Call zu spät kommt und wir mit den Mengen in der Ausgleichsenergie landen. Das bedeutet, dass ich für den fehlenden Strom Ausgleichsenergiepreis zahlen muss. Die Logik ist auch hier die gleiche: günstige Ausgleichsenergiepreise sind für mich in diesem Fall (ich bin short) gut und hohe schlecht.
Der sogenannte Mischpreis ist genau nach dieser Logik konzipiert: Er setzt sich zu 72,5% aus dem viertelstündlichen ID1 (Intraday) Preis und zu 27,5% aus dem Ausgleichsenergiepreis (reBAP) zusammen. Das ist kein Zufall, denn der Mischpreis wurde konzipiert um das Risiko der Direktvermarkter auszugleichen und eben nicht, um an den Betreiber weitergeleitet zu werden.
Natürlich stimmt das dem Mischpreis zugrunde liegende Verhältnis von ID1 und reBAP nicht in jeder Situation. Manchmal kostet das Schließen der Positionen ein bisschen mehr oder weniger als der Mischpreis, aber die Logik ist richtig.
Abbildung 5 zeigt die Managementkosten (orange) des Direktvermarkters für die Ausfallarbeit über den Monat (blaue Linie). Man erkennt gut, dass dem Direktvermarkter in diesem idealisierten Beispiel alle Kosten durch den Mischpreis (grau) erstattet werden. Wir haben für den Mai auch gerechnet, was passiert wäre, wenn der Direktvermarkter keine der Positionen hätte schließen können. In diesem Monat und für diese Anlage wäre dies für den Direktvermarkter sogar noch besser gewesen. In einem Satz: Aus unserer Sicht kann man nicht annehmen, dass Direktvermarkter durch den Mischpreis ein besonderes Risiko oder besondere Kosten mit sich tragen, die über das Preis- und Prognoserisiko hinausgehen, das ohnehin durch den Direktvermarkter zu tragen ist. Natürlich kann es die Situation geben, in der ein Intraday-Preis sehr niedrig ist und der reBAP sehr hoch und der Direktvermarkter die Mengen nicht rechtzeitig schließen kann. Dann hätte er hohe Imbalance-Kosten und würde relativ wenig über den Mischpreis erstattet bekommen. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass man als Direktvermarkter durch den Mischpreis systematisch schlechter gestellt wird.
Einnahmen des Direktvermarkter bei Auszahlung des Marktwerts Solar
Nun sehen wir uns einmal die Gesamteinnahmen des Direktvermarkters im Monat Mai bei Auszahlung des MW Solar vs. bei Auszahlung des Mischpreises für die Ausfallarbeit an den Kunden an. Der Direktvermarkter bekommt den Spotpreis für seine Day-Ahead-Prognose. Die Redispatch-Kosten bekommt er in Form des Mischpreises vom ÜNB/VNB erstattet. An den Kunden zahlt er nun entweder diesen Mischpreis (i.e. eine Mischung aus ID1 und reBAP) für die Ausfallarbeit („geiziger Direktvermarkter“) oder den MW Solar („guter Direktvermarkter“).
Abbildung 6 zeigt unseren „guten Direktvermarkter“. Er zahlt den MW Solar, also die 53,56 EUR/MWh bzw. 21.832 EUR, für Einspeisung und Ausfallarbeit und hat über den gesamten Monat netto Einnahmen in Höhe von 2.567 EUR oder 2,26 EUR/MWh.
Einnahmen des Direktvermarkter bei Auszahlung des Mischpreises
Unser „böser“ Direktvermarkter zahlt den viel niedrigeren (bzw. negativen) Mischpreis i.H.v. -4,47 EUR/MWh oder -1.656 EUR aus (d.h. er fordert also sogar Geld ein) und hat dadurch viel höhere Nettoeinnahmen in Höhe von 26.055 EUR bzw. 22,98 EUR/MWh. Er hat seinen Erlös hierdurch verzehnfacht! Siehe Abbildung 7.
Preise und Abregelung am 07.05.2023
Um das zu verdeutlichen, sehen wir uns nochmal einen einzelnen Tag, nämlich den 07.07.2023 an. Siehe Abbildung 8. Wir sehen, dass unsere Anlage in den Mittagsstunden komplett abgeregelt wird. In diesen Stunden ist der ID1 und der reBAP deutlich unter Day-Ahead und auch unter MW-Solar-Niveau. Da der Mischpreis eine Mischung aus ID1 und reBAP ist, liegt er per Definition zwischen diesen beiden Werten. Der Direktvermarkter schließt seine aus der Redispatchmaßnahme resultierende Short-Position zu einem Mix aus diesen Preisen und wird dadurch für seine Kosten entschädigt. Wenn er jetzt jedoch seinem Kunden (dem Betreiber) für die Redispatchmengen diesen Mischpreis, der deutlich niedriger ist als der MW Solar, erstattet, stellt er sich dem Kunden gegenüber deutlich besser, als wenn keine Redispatch Maßnahme stattgefunden hätte. Er sichert sich also ein „free lunch“, was aufgrund der Tageszeit seines Zufallsgewinns durchaus wörtlich genommen werden kann.
Jetzt bleibt natürlich die große Frage, ob wir hier nur ein besonders passendes Beispiel ausgewählt habe, oder ob Direktvermarkter durch Weiterleitung des Mischpreises systematisch Risiken auf ihre Kunden abwälzen, die eigentlich durch den Vermarkter zu tragen sind, und dadurch ihre Einnahmen optimieren. Wir sehen hier eine klare Systematik. Redispatch 2.0 für Portfolien der Erneuerbaren Energien findet vor allem dann statt, wenn viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Das bedeutet, dass der mengengewichtete Mischpreis für Redispatch-Mengen systematisch niedriger ist als die monatlich gemittelten Marktwerte der Erneuerbaren. Wichtig ist hier mengengewichtet. Der durchschnittliche Mischpreis für den Mai beträgt 83,78 EUR/MWh. Das ist höher als der durchschnittliche Spotpreis in Höhe von 81,72 EUR/MWh und deutlich höher als der MW Solar in Höhe von 53,56 EUR/MWh. Jedoch ist der Mischpreis in den Situationen, in denen (in unserem Portfolio) Redispatch stattfindet, deutlich niedriger als der MW Solar. Aufgrund dieses Fakts stellen sich Direktvermarkter, die ihren Kunden den Mischpreis auszahlen, systematisch besser und die meisten Kunden verstehen dies nicht.
Fazit: Ehrlich währt am längsten
Wir sind uns als Direktvermarkter unserer Aufgabe bewusst, Risiken zu übernehmen und unsere Kunden vor diesen zu schützen. Aus unserer Sicht deckt der Mischpreis unsere Risiken gut ab. Der Rest ist unser Problem. Es ist unsere Aufgabe unsere Kunden so gut zu stellen, wie wir das können und sie eben vor allem nicht in komplexen Situationen schlechter zu stellen. Das können andere machen, aber wir bleiben uns treu. Wer lieber uns eine hart erarbeitete Brotzeit gönnt, als seinem aktuellem Direktvermarkter ein kostenloses All-Inclusive-Buffet, kann gerne hier vorbeischauen.
P.S. Unsere Analyse der mengengewichteten Mischpreise im Verhältnis zum MW Solar und MW Wind basiert auf den Ergebnissen aus unserem eigenen Portfolio. Womöglich ist das aber nicht repräsentativ. Wenn jemand eine Zeitreihe mit Redispatch-Mengen (früher EinsMan) für das Deutschland-Portfolio hat, nur her damit! Womöglich haben wir hier einen Bias, aber wir glauben es nicht.
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Ich glaube die einfachere Erklärung ist in etwa Folgende:
Wenn Redispatch bei meiner (z.B. Wind-) Anlage erfolgt, dann besonders dann, wenn viel Wind weht und damit viel Windstrom im Markt ist. Dann sind die Preise auch tendenziell niedrig aufgrund des hohen Stromangebots. Wenn ich für diesen Strom dann einen Preis ausgezahlt bekomme, der sich am Börsenpreis orientiert, dann ist dieser erstmal niedrig. Das wäre auch eigentlich OK, wenn man die umgekehrte Seite außer acht lässt: In den Zeiten in denen kein Redispatch vorliegt, liegt der Strompreis an der Börse tendenziell etwas höher, da weniger Windstrom im Markt ist. Der anzulegende „Marktwert“, der ausgezahlt wird, basiert aber auf dem Mittelwert aller Windeinspeisung, also inklusive der Zeit in der Redispatch bei meiner Anlage vorlag und die Preise niedrig waren.
Würde dieser höhere Preis für die Zeiten ausgezahlt werden, in denen kein Redispatch vorlag, wäre es wieder fair.
Man darf dann allerdings nicht vergessen, dass das Marktpreisrisiko dann auch zu den Anlagenbetreibern übergeht, was diese wiederum u.U. nicht tragen wollen oder können.